Irgendwann genügte das Fahrrad für die sonntäglichen Ausflüge nicht mehr. Eine neue Bastel-Aufgabe war auch willkommen. Also wurde eine BMW R26 aufgetan – in Teilen!
Die 250er Einzylindermaschine der Baureihe 1 wurde 1956 gebaut. Für die 15PS wurde damals noch ein Kardanantrieb spendiert. Die R26 bringt schlanke 158kg Leergewicht auf die Waage. Mit Seitenwagen sind allerdings volle 480kg Gesamtgewicht erlaubt. Das ist gewiss eine Menge, aber damals hatte ein Motorrad in erster Linie billig und zweckmäßig zu sein. Auf rasante Beschleunigung und Topspeed kam es nicht an.
Am 2.4.1957 war das Brot- und Butter-Motorrad mit der Fahrgestellnummer 349453 erstmal zugelassen worden, mit Ratzeburger Kennzeichen. Ein Melker war der erste Besitzer. Es folgten 1959 ein Landarbeiter, März 1972 ein Modellbauer, April 1972 ein Bauarbeiter und 1976 jemand aus Kiel. Nummer 6 hatte zumindest den Rahmen und viele Teile in der Garage, kam aber nicht soweit, im Fahrzeugbrief zu erscheinen. So wurde ich 1992 die Nummer 7 und machte die gute alte R26 im November 1993 wieder offiziell bekannt.
Vorher war jedoch noch einiges zu tun, obwohl ein paar Restaurationsarbeiten bereits vom Vorbesitzer durchgeführt wurden. Der Tank war repariert, hatte aber keinen Deckel für das eingelassene Werkzeugfach. Die Räder waren eingespeicht, der Sattel und ein paar Kleinteile waren Neuteile. Der Motor sollte überholt worden sein, war dann aber doch nur laienhaftes Flickwerk mit falschem Kolben, der von einem zu kurzen Kolbenbolzen gehalten wurde und auf die Ventile aufsetzte. Der Kopf stammte von einer R27 und das Gehäuse von einer R25/3. Immerhin war der Zylinder richtig. Die Kurbelwelle wackelte, eine Stoßstange war verbogen, ein Ventilsitz gerissen. Ventilfedern und Vergaser gehörten zu einem anderen Motorrad. Die Kupplung war verschlissen und so weiter. Für eine 4-stellige DM-Summe machte Firma Bals aus diesem lausig zusammengefrickelten Machwerk einen funktionierenden Motor. Und weiter ging’s. Das hintere Schutzblech wollte einfach nicht passen, da musste Ersatz her, ebenso für die verschlissenen Stoßdämpfer. Der Rahmen war ebenfalls in schlechtem Zustand. Durch unzählige Kickstarts waren die Unterzüge nach oben gedrückt und eingerissen. Der Vorbau war durch langen Seitenwagenbetrieb oder einen Unfall etwas verdreht. Ein Rahmenspezialist spannte das strapazierte Eisen in seine Richtbank ein, und eine Werkstatt schweißte die Risse.
Es war eine nicht enden wollende Arbeit über viele Monate hinweg. Endlose Teilebestellungen waren zusammenzustellen, denn selbstredend waren unzählige Kleinteile nicht vorhanden. Erschreckend, wie viel Kleinkram an einem Mopped überhaupt verbaut werden kann! Allein das Zündschloss besteht aus 11 Teilen! Aber schon damals war der Gasgriff mit dem wunderschönen Zahnrad-Antrieb ausgestattet, der den Seilzug ohne Biegung in die Hülle gleiten lässt. Der Ersatzteilkatalog von BMW zeigt jedes noch so kleine Teil im Rahmen zahlreicher Explosionszeichnungen mit einem Verweis auf seine Bestellnummer. Solche Unterlagen waren unverzichtbare Grundlagen für die Restauration. Ein Bekannter lieh mir seinen Bing-Ordner aus den 50 Jahren zum Kopieren. Teilemärkte offenbarten literarische Schätze vom Testbericht aus der Zeitung „Das Motorrad“, Heft 13/1956, über das Fahrerhandbuch bis zur Dokumentation der Elektrik. Auch eine Reparaturanleitung gab es als Kopie. Doch Vieles musste erfragt werden, auf Teilemärkten, bei Firmen, die sich mit Oldtimern beschäftigen und bei Leuten aus der Umgebung, die man im Zuge eines solchen Unternehmens geradezu zwangsweise kennen lernt.
Welch Freude doch die Erkenntnis bringt, weshalb ein Teil nicht passt! Z.B. weist der hintere Bremshebel der R26, wie jener der R25/3, einen Winkel von ca. 30° auf, während dieser Winkel bei den Modellen R25 und R25/2 nur 10° beträgt. Montiert man den falschen, was zunächst zu funktionieren scheint, stößt nachher die Bremszugstange an die Sozius-Fußrastenhalterung. Diese hat übrigens einen zu feinen Vielzahn, wenn sie für eine R50 bestimmt ist.
Auch die Radlager bereiten viel Arbeit, denn sie lassen sich nur dann einwandfrei montieren, wenn alle Passringe und Distanzhülsen genau richtig sind. Sind sie es nicht, wackelt nachher das Rad oder die Lager werden zerdrückt. Da gibt es am Vorderrad je einen Passring von 8mm und einen von 9mm Dicke, eine kurze und eine lange Distanzhülse – welches Teil kommt an welche Stelle? Welche Abstände müssen überhaupt erreicht werden?
Viele Teile werden heute nachgefertigt. Für andere gibt es Ersatztypen. Im Falle des Vergasers hatte der von BMW freigegebene Ersatztyp Bing 1/26/123 eine Kaltstartvorrichtung, einen Choke, anstelle des bekannten Tupfers. Sollte ich den zugehörigen Hebel montieren oder mich auf die Aussage eines Teilehändlers verlassen, dass er garnicht benötigt wird? Da die Maschine auch im Winter laufe sollte, entschied ich mich für die erste Lösung. Die Explosionszeichnung des 1/26/123 konnte ich mir faxen lasen. Wie wird der Vergaser bedüst? Leerlauf-Düse 40, Hauptdüse 140! Der Düsenstock hat 7 Teile – aufzeichnen! Und in welche Kerbe gehört die Düsennadel? Das wurde im praktischen Versuch ermittelt. Beschleunigen, konstant fahren, höher, fahren, tiefer, fahren, …
Übrigens gab es inzwischen auch für den Ersatztyp einen Ersatztyp: Bing 1/26/114
Das Lackieren habe ich recht aufwendig in einer Garage vorgenommen und gehört zu den angenehmen Erinnerungen. Alles schön ausfegen und dann den Boden mit Wasser besprengen, damit der Staub gebunden wird. Denn Staub entsteht eine Menge: Lackstaub! Der eigens hierfür angeschaffte Kompressor dröhnte ganz ordentlich. Um eine Vergiftung zu vermeiden, hatte ich eine Atemschutzmaske mit speziellem Filter gekauft. Dadurch war der beißende Farbgeruch für mich nicht mehr vorhanden. Die Spühpistole lag gut in der Hand, und so machte es richtig Spaß, die Farbe gleichmäßig Schicht für Schicht auf die zahleichen, an Leinen und Haken hängenden, Metallteile zu verteilen. Zunächst wurde grundiert. Darauf kam ein 2-Komponenten-Acryl-Lack von der nächsten VW-Werkstatt. Dieser musste aus Härter, schwarzem Decklack und Verdünner angemischt werden. Der Verdünner sorgte für die richtige Viskosität. Sie sollte bei 16-17s liegen, ermittelt mit einem Messtrichter. Dazu passen eine Sprühdüse mit 1,2-1,3mm Durchmesser und ein Druckluftdruck von 4,5-5bar. Abschließend spendierte ich eine Lage Klarlack, um Kratzern vorzubeugen. Zum Reinigen stand Verdünner bereit. Und wenn ich zu spendabel mit der Farbe war, weinte sie und das Teil musste nach dem Aushärten abgeschliffen und erneut lackiert werden.
Zur Benutzung dieses Motorrades in heutiger Zeit war die Erstellung einer Energiebilanz sinnvoll. Damals schaltete man das Licht an, wenn es dunkel wurde. Heute ist die Beleuchtung immer an. Und so zeigte sich auch tatsächlich, dass die Lichtmaschine nur knapp den Energiebedarf decken konnte. Zündaussetzer im niedertourigen Stadtverkehr deuteten bald auf Strommangel hin.

Doch allen Widrigkeiten zum Trotz lief das gute Stück irgendwann. Pünktlich zum Winteranfang. Minusgrade? Na und, der Jethelm hält zwar nicht warm, aber verleiht ein Gefühl des unmittelbaren Erlebens. Das Starten des Motors war manchmal eine Sache für sich, jedenfalls für einen Newby. Das Beschleunigen hatte etwas Unerschütterliches. Ein herrliches Gefühl, unbeschwert über Land zu bummeln. Einzylindermotor und Kardan – so etwas gibt es nicht mehr.
Spitze ging die Maschine gut 100 Sachen. Wenn sie lief. Da war die Sache mit dem 3. Gang, der gerne mal raussprang. Und zum Schluss war der Kupferwurm drin. Alle Zündungsteile ausgetauscht, ohne Erfolg. Tja, für Skandinavien taugt das nicht. Zumal alle 1500km Ölwechsel angesagt war.
Was alles so anlag
21.5.1992 47690km laut Tacho |
Auf eine Anzeige hin zunächst nur angesehen und dann gekauft für 3000DM Transport des Sammelsuriums per Anhänger |
Kauf unzähliger Teile und Motor-Überholung, 10300DM Werkzeug und Literatur, 1300DM Lederklamotten, Helm etc., 800DM Führerschein Klasse 1, macht nur 1300DM Vollabnahme und Zulassung, 200DM |
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Getriebe-Überholung, weil der 3. Gang beim Beschleunigen heraus springt, 700DM | |
Zündaussetzer trüben das Fahrvergnügen. Zündspule, Kondensator, Kontakte und vieles mehr werden ausgewechselt – ohne Erfolg. Es kann doch nicht der Vergaser sein, oder doch? | |
2.10.1995 49240km laut Tacho |
Verkauf nach nur 1500km für 5700DM Insgesamt war dies ein teurer Spaß, aber eben auch Spaß, nicht nur teuer |
… | Später stellt sich heraus, dass der Kondensator defekt war. Der war zwar schon zwei mal ausgewechselt worden, aber auch die neuen waren defekt. Sie stammten alle aus einer Quelle… |